OHNEPUNKTUNDKOMMA
Unter diesem Motto findet der diesjährige Schreibwettbewerb für Zwölf- bis Fünfzehnjährige statt, der vom Hessischen Literaturforum ausgerichtet und vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst unterstützt wird. Hierfür konnten fiktionale Texte zu einem frei wählbaren Thema eingereicht werden. Wir freuen uns sehr, dass aus der Klasse R8a Lisa Linke und Diana Oestreich und aus der Klasse R8b David Ruban ihre Texte eingereicht haben und drücken ihnen ganz fest die Daumen, denn natürlich gibt es auch Preise zu gewinnen: Sachpreise sowie eine Veröffentlichung der Preisträgertexte in einem Buch. Lisa Linke hat uns ihren Text ,,Mutterseelen" für die Schulhomepage zur Verfügung gestellt. Wir bedanken uns bei euch allen, dass ihr an diesem Wettbewerb teilgenommen habt und wünschen allen Besuchern der Homepage natürlich viel Spaß beim Lesen der spannenden Geschichte:
Mutterseelen
Mia packte ihre Schulsachen und stieg ins Auto ihres Vaters. Anschließend brachte ihr Vater sie in die Schule, wo der Platz neben ihr leer war. Dort saß bis vor den Sommerferien ihre Freundin Tabea, die mit ihren Eltern jedoch nach Hamburg gezogen war.
Frau Berg trat freudestrahlend ins Klassenzimmer. Sie war aber nicht alleine - neben ihr stand ein kleines, schüchtern wirkendes Mädchen mit naturroten Haaren. ,,Das ist Nele", fing Frau Berg an zu erzählen, ,,Sie kommt aus Dresden und wird ab heute eine Klassenkameradin von euch sein." Bestimmt wird sie neben mich gesetzt, dachte ich, bevor Frau Berg mich fragte:,,Mia, darf sich Nele zu dir setzen? Und würdest du dich ein bisschen um sie kümmern?" ,,Natürlich", antwortete ich. Nele kam schüchtern auf mich zu und setzte sich. In der Pause unterhielten wir uns ein wenig. Riiiiinnnggg ertönte es aus der Schulklingel, die uns zu verstehen gab, dass die Pause vorbei war und wir in den Unterricht mussten. Nach der Stunde Mathe bei Herrn Mais durften wir dann endlich nach Hause.
Im Anschluss wartete Mia auf ihren Vater. Ihr Vater kam und brachte sie nach Hause. Dort erledigte Mia ihre Hausaufgaben. Anschließend ging sie zu ihrem Pferd Scarlett, mit dem sie auf ihrer Lieblingswiese den Sonnenuntergang hinter den Alpen betrachtete.
Am nächsten Tag fragte ich meinen Vater, ob wir Nele mit zur Schule nehmen können. ,,Na klar", antwortete er. Wir fuhren von unserem Hof den Berg hoch und dann zum alten Lindenhof. Dort wollte Nele gerade ins Auto ihres Vaters einsteigen. ,,Hey, willst du mit uns zur Schule fahren?", rief ich ihr aus dem offenen Fenster des Autos zu. Schüchtern schaute sie zu ihrem Vater. Der nickte ihr mit einem Lächeln zu. ,,Gerne", sagte sie dann zu mir und stieg mitsamt Ranzen und Sporttasche in unser Auto ein. Auf der Fahrt in die Schule sagte Nele kein Wort. Dort angekommen gingen wir gemeinsam in die Klasse, wo Frau Berg schon auf uns wartete. ,,Nele, hast du dich schon etwas eingelebt?", fragte sie Nele. Diese nickte mit dem Kopf, sagte aber kein Wort. Nach Schulschluss lud ich Nele in mein Lieblingscafé in der Stadt ein. Kati, die Besitzerin des Cafés, machte die besten Kirsch-Cupcakes der Welt. Nele und ich setzten uns auf die Außenterrasse und ließen uns einen dieser leckeren Cupcakes bringen. ,,Warum sagst du eigentlich nie was?", begann ich unser Gespräch. Nele schwieg. Sie schwieg so lange, bis ich meinen Cupcake aufgegessen hatte und bezahlen wollte. ,,Sie ist weg", begann Nele zu erzählen. "Wer ist weg?" Als sie antworten wollte, hielt ein Auto vor dem Café und meine Mutter stieg aus. ,,Mia, wir müssen los. Kommst du bitte?", sagte sie, als sie kurz darauf wieder ins Auto stieg. ,,Sorry Nele, wir reden ein anderes Mal weiter." Ich legte einen 5 Euro Schein auf den Tisch und stieg zu meiner Mutter ins Auto. Wir fuhren die menschenleere Landstraße vom Café nach Hause. Zuhause erinnerte mich meine Mutter an die Englischarbeit, die wir morgen schreiben. Also setzte ich mich auf mein Bett, schaltete den Fernseher an und lernte die unregelmäßigen Verben, die wir für die Arbeit brauchten. Nach dem Abendessen legte ich mich wieder in mein Bett und dachte über den heutigen Tag nach. Was wollte Nele mir bloß sagen? Wer ist weg? Wäre meine Mutter doch nur nicht gekommen! Ich dachte noch eine ganze Weile, bevor mir die Augen zufielen.
Am nächsten Tag auf dem Weg zur Schule redete Lina über einen Ausflug, den sie mit ihrem Kindergarten heute machen wollte.
In der Schule ging ich in die Klasse. Mit einem ,,Good morning" begrüßte uns Frau Zinski, unsere Englischlehrerin. ,,Morning" ist die Antwort unserer Klasse. Frau Zinski erklärte uns die Arbeit, doch ich verstand nur Wortfetzten. Der Platz neben mir war leer. ,,Weißt du wo Nele ist?", frage ich Michael, der eine Reihe hinter mir saß. Michael schüttelte mit dem Kopf. ,,Mia, was gibt es Wichtiges zu besprechen?", weckte Frau Zinski mich aus meinen Gedanken. Ich schaute sie an. ,,Meine Sitznachbarin ist nicht hier", sagte ich meiner Lehrerin. Mit einem ,,Dann wird sie bestimmt krank sein" wendete sie sich von mir weg und teilte weiter Arbeiten aus. Nach der Englischarbeit wartete ich auf meinen Vater. Schließlich entschied ich mich, ihn anzurufen und den Weg nach Hause zu laufen. Mit ,,Papa, ich laufe nach Hause. Ich möchte nochmal bei Nele vorbeischauen. Sie war heute nicht in der Schule", setzte ich ihn von meinem Vorhaben in Kenntnis. ,,Ok. Aber komm nicht zu spät nach Hause", antwortete er.
Also lief ich auf die Landstraße, wo neben mir Neles Vater im Auto hielt. ,,Du bist doch Mia, oder? Die neue Freundin von Nele." ,,Ja. Warum war sie denn heute nicht in der Schule?" Er überlegte. Meiner Meinung nach sogar sehr lange. ,,Sie hatte heute Morgen Bauchschmerzen. Jetzt geht es ihr aber besser. Also wenn du willst, kannst du mitfahren und sie besuchen." ,,Gerne." Wir fuhren mit dem Auto hoch zum Hof. Dort saß Nele auf der Wiese. Ich ging auf sie zu und fing an zu erzählen: ,,Warum warst du heute nicht in der Schule?" Mit ihrer schüchternen Stimme antwortete sie: ,,Mir ging es nicht gut." Wir erzählten noch lange. Ihr Vater kam und brachte uns was zu Essen und Trinken. ,,Wer ist eigentlich weg?" Sie zögerte. Dann lief ihr eine Träne über die Wange. ,,Meine Mutter", antwortete sie. ,,Sie war weg, als ich eines Tages aus der Schule heim gekommen bin. Ich war grade 6 Jahre alt. Mein Vater sagte, es war eine Kurzschlussreaktion." Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. ,,Und seitdem hast du nichts mehr von ihr gehört, oder was?" ,,Doch. An Weihnachten hat sie uns eine Karte geschrieben. Aber seitdem nichts mehr." Wir unterhielten uns noch eine Weile, bevor ich nach Hause ging. Ich ließ mir Neles Worte durch den Kopf gehen. Wie würde ich das finden, wenn meine Mutter von heute auf morgen verschwindet? Ich dachte noch ein bisschen nach, bevor ich in mein Bett fiel und einschlief. Am nächsten Tag hatten wir keine Schule, sodass ich ausschlafen konnte. Nachdem ich aufgestanden war und gefrühstückt hatte, beschloss ich, zu Nele zu laufen. Ihre Geschichte ging mir nicht mehr aus dem Kopf. ,,Ich gehe zu Nele. Bin zum Abendessen wieder da!", rief ich in die Küche, wo meine Mutter war.
,,Mia, was machst du denn hier?", fragte mich Nele, als sie mich den Berg hochlaufen sah. ,,Mir ging deine Geschichte nicht mehr aus dem Kopf." Ich ging zu Nele hoch und setzte mich neben sie auf die Bank. Jetzt saßen wir da, wie gestern. Keiner sagte ein Wort. ,,Man muss doch deine Mutter irgendwie finden?!", fragte ich Nele, die wie eine versteinerte Person auf der Bank saß. ,,Weiß net", waren die einzigen Worte, die ich hörte. Nach einiger Zeit verabschiedete ich mich von ihr und ging wieder nach Hause.
An meinem Geburtstag drei Monate später waren Nele und ich bereits beste Freunde. Das mit ihrer Mutter hatten wir seitdem nicht mehr besprochen. Nele lud mich zu Kati ins Café ein, sodass ich nach dem Geschenkeauspacken in die Stadt lief. Bei Kati angekommen warteten schon ein Kirsch-Cupcake und Nele auf mich. ,,Hey, Happy Birthday!", empfing mich Nele. ,,Danke!!!" Wir unterhielten uns, sie erzählte mir was von dem Konzert, auf dem sie mit einer anderen Freundin gestern war. Plötzlich tippte sie mich an. ,,Was ist denn?" ,,Da vorne...die Frau...die sieht aus wie meine Mutter!" ,,Welche? Die in dem pinken Kleid? Sieht deiner Mutter sicher ein bisschen ähnlich, aber das wäre echt ein Zufall." Während Nele ihren Schoko-Cupcake aß, steuerte die Frau im pinken Kleid auf unseren Tisch zu. ,,Nele? Bist du es wirklich?" Ich schaute Nele an, sie verschluckte sich fast an einem Schokostückchen. ,,Mama?", waren ihre Worte. ,,Es tut mir leid. Es tut mir wirklich leid, dass ich dich damals mit deinem Vater allein gelassen habe."